Corona öffnet digitale Schere in Deutschland

  • Anteil von Nutzern digitaler Anwendungen steigt von 26 Prozent auf 64 Prozent
  • Jeder Zweite über 60 ist weiterhin überwiegend analog unterwegs
  • Deutschland muss für Digitalisierung bei allen Gliedern der Kette ansetzen

München, 8. November 2021 Der Anteil der Nutzer digitaler Dienste ist im Zuge der Coronapandemie von 26 auf 64 Prozent gestiegen, gleichzeitig ist aber über ein Drittel der Deutschen nach wie vor überwiegend analog unterwegs. In der Altersgruppe der über 60-Jährigen sowie unter Personen mit einem niedrigen Einkommen nimmt sogar jeder zweite Befragte kaum oder gar keine digitalen Angebote in Anspruch. Zu diesem Ergebnis kommt die Studie Digitales Deutschland 2021 der Strategieberatung Boston Consulting Group (BCG), für die über 1.500 Personen zur Nutzung digitaler Anwendungen aktuell und vor der Pandemie befragt wurden. Im Fokus der Befragung standen dabei digitale Dienste für das Homeoffice, im Gesundheits- und Bildungswesen sowie in der öffentlichen Verwaltung.

Für Olaf Rehse, Senior Partner bei BCG und Mitautor der Studie, ist es essenziell, die Digitalisierung stärker aus Nutzersicht zu betrachten: „In Deutschland dreht sich die Debatte häufig um den Breitbandausbau oder die Verfügbarkeit technischer Endgeräte an Schulen. Gelingen kann die digitale Transformation jedoch nur dann, wenn wir bei allen Gliedern der Kette ansetzen. Dazu gehört das Zugangsnetzwerk, aber auch die Verfügbarkeit digitaler Dienste und die Schulung von Nutzern im Umgang damit.“ So verfügten heute rund 90 Prozent der Privathaushalte über einen ausreichenden Breitbandzugang, bei Schulen seien es jedoch lediglich 40 Prozent. „Beim Infrastrukturausbau ist Deutschland noch nicht am Ziel, aber unsere Studie zeigt, dass große Hebel beim Angebot digitaler Dienste und ihrer tatsächlichen Nutzung durch die Bevölkerung liegen“, so Rehse.

Corona treibt digitales Arbeiten und Lernen

Im Zuge der Coronapandemie nutzen immer mehr Deutsche digitale Angebote für die Arbeit von zuhause aus. Unter den Personen mit einem Bürojob verwendeten beispielsweise vor der Pandemie 68 Prozent Videotelefonie im Homeoffice, heute bereits 90 Prozent. Auch im Bildungswesen nahm das Angebot digitaler Dienste zu. Nur 20 Prozent der befragten Personen stehen in ihrer Bildungseinrichtung heute keinerlei Angebote wie digitale Informationsveranstaltungen, Prüfungen oder Anmeldeverfahren zur Verfügung. Im Jahr 2019 war dieser Anteil noch doppelt so hoch.

Aufholbedarf besteht hingegen im Gesundheitswesen. Auch eineinhalb Jahre nach Ausbruch der Pandemie stehen kaum mehr Personen digitale Angebote wie Video-Sprechstunden, online Terminvergabe oder Rezeptbestellungen zur Verfügung als noch im Jahr 2019. In der öffentlichen Verwaltung beantragen die Befragten neue Urkunden oder die Zulassung ihres Autos nach wie vor häufiger analog als digital. Für Rehse sollte hier ein klarer Fokus liegen: „Insbesondere im Gesundheitswesen und in der öffentlichen Verwaltung können digitale Dienste einen großen Nutzen bieten. Das Potenzial der Anwendungen ist groß und kann verhältnismäßig leicht gehoben werden.“

Besonders Geringverdiener stehen der Digitalisierung ängstlich gegenüber

Ein Viertel der Befragten zeigte sich ängstlich ablehnend gegenüber der Digitalisierung und fürchtet sich vor Hacker-Angriffen, Arbeitsplatzverlust oder davor, etwas falsch zu machen. In der Personengruppe mit einem geringen Einkommen lag der Anteil der Ängstlichen sogar bei 37 Prozent. „Ängste gegenüber der fortschreitenden Digitalisierung bestehen in der Gesellschaft nach wie vor. Hinzu kommt, dass vielen Menschen bei digitalen Angeboten der persönliche Kontakt sowie der zeitliche und finanzielle Mehrwert fehlen. Bei diesen Vorbehalten müssen wir ansetzen, wenn wir die Digitalisierung beschleunigen wollen“, betont Rehse.

Die Studie ermittelt ein Ranking möglicher Maßnahmen aus Sicht der Befragten, die dazu führen würden, dass sie digitale Angebote verstärkt in Anspruch nehmen. So wünschen sich die meisten Personen, dass ihre Anliegen in Echtzeit ohne weitere analoge Schritte und schneller als bei analogen Alternativen bearbeitet werden. Betrachtet man allein die Gruppe der ängstlich ablehnenden Personen, so wünschen sich diese vor allem zusätzliche Unterstützung, beispielsweise durch verständlichere Angebote mit weniger Fachbegriffen, persönliche Hilfestellung und mehr Aufklärung zum sicheren Umgang mit dem Internet. „Die unterschiedlichen Bedürfnisse in der Bevölkerung erfordern zielgruppenspezifische Maßnahmen. So kommt es darauf an, vermeintlich abgehängte Gruppen stärker mitzunehmen. Zudem gilt es, die Vorteile digitaler Angebote verstärkt zu kommunizieren und die Bevölkerung besser zu informieren. Dabei sollten digitale Ende-zu-Ende Prozesse im Fokus stehen. Die Frage „warum digital, wenn es auch analog geht?“ muss aus Nutzersicht ganz klar beantwortet sein“, konstatiert Rehse.

Weiterführende Ergebnisse zur Studie erhalten Sie in dieser Präsentation.

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