Industrie will regionaler und flexibler produzieren – Fabrik-Sharing als Lösung

  • Umfrage unter 1.500 Managern zeigt: Drei Viertel wollen Produktion flexibler gestalten
  • Etwa jede vierte Fabrik ist in den nächsten drei Jahren nicht ausgelastet
  • „Production as a Service“ ermöglicht flexible und effiziente Fertigung

München—Um ihre Lieferketten resilienter zu machen, wollen weltweit 43 Prozent der Industrieunternehmen regionaler produzieren. Das zeigt die Studie Boosting Resilience with Production as a Service. Die Strategieberatung Boston Consulting Group (BCG) hat hierfür gemeinsam mit der FlexFactory GmbH und der WHU – Otto Beisheim School of Management weltweit mehr als 1.500 Führungskräfte aus unterschiedlichen Industriebranchen befragt. Im Fokus standen dabei die Prioritäten der Unternehmen bei der Fertigung und der Organisation ihrer Lieferketten. Demnach möchten drei Viertel der befragten Manager die Produktion in Zukunft flexibler an Nachfrageänderungen anpassen können.

Für Dr. Kristian Kuhlmann, BCG-Partner und Mitautor der Studie, sind neben Nachhaltigkeit heute Resilienz und Leistungsversprechen die größten Herausforderungen in der Fertigung: „Der Krieg in der Ukraine und die Corona-Pandemie haben die Anfälligkeit globaler Lieferketten deutlich gemacht. Viele Unternehmen wollen daher regionalisieren, wodurch aber die produzierten Mengen pro Standort sinken.“ Jede vierte Produktionsanlage könnte der Umfrage zufolge in den nächsten drei Jahren nicht effizient ausgelastet sein. Gleichzeitig ist Kostendruck für knapp die Hälfte der Unternehmen eine der größten Sorgen.

Production as a Service als mögliche Lösung

Eine mögliche Antwort auf die Herausforderungen bietet Production as a Service (PaaS). Dr. Phillipp Hypko, FlexFactory-Geschäftsführer und Mitautor der Studie, sieht in dem Modell, das in anderen Branchen bereits etabliert ist, großes Potenzial für die Fertigung: „Im IT-Bereich beispielsweise kaufen Unternehmen Software heute häufig nicht mehr ein, sondern schließen ein Abonnement ab und zahlen nutzungsabhängig. Die Grundidee ist auch auf die Produktion übertragbar.“ So nutzen bei PaaS mehrere Unternehmen gemeinsam hochflexible Fabriken, die externen Investoren gehören. Dort kann eine Vielzahl an Produkten oder Varianten nach Bedarf und in der gewünschten Menge effizient hergestellt werden.

Ein weiterer Vorteil: Durch die Entkopplung von Nutzung der Produktionslinien und Eigentum verlagern sich Ausgaben beim Nutzer von hohen Fixkosten hin zu variablen Betriebskosten. Damit übernimmt der externe Investor Teile des Risikos, etwa bei technischen Ausfällen oder geringer Auslastung. Hierfür lässt sich der Investor eine Risikoprämie vom Nutzer bezahlen und gegebenenfalls eine bestimmte Abnahmemenge zusichern. „Wenn beide Parteien die richtige Balance aus Sicherheiten und Risiken finden, dann ist die Lieferkette wesentlich effizienter und resilienter“, sagt Prof. Dr. Arnd Huchzermeier, Inhaber des Lehrstuhls für Produktionsmanagement an der WHU und Mitautor der Studie.

Besonders gut für PaaS eignen sich Branchen, die spezialisierte Produkte in kleinen Mengen mit großer Varianz herstellen und eine anlagenintensive Produktion benötigen, zum Beispiel Premiumfahrzeuge, Spritzgussprodukte oder Verpackungen für die Pharmaindustrie. Je nach Industriesektor könnten bis zu 15 Prozent der Produktionsstätten als PaaS-Modelle eingerichtet werden. Das entspricht einem globalen Marktpotenzial von jährlich bis zu 900 Milliarden US-Dollar. In Deutschland liegt das Potenzial bei 80 Milliarden US-Dollar.

Deutsche Industrie zeigt sich noch zurückhaltend

Fast zwei Drittel der weltweit für die Studie befragten Führungskräfte können sich vorstellen, bestehende Produktionsstätten mit anderen Unternehmen zu teilen. Bei einem neuen Werk wären sogar 85 Prozent dazu bereit. Knapp ein Viertel zieht neue Finanzierungskonzepte wie den Bau und Betrieb von Produktionsstätten durch externe Investoren in Betracht. In Deutschland würden 60 Prozent der Befragten bestehende Anlagen innerhalb ihrer Unternehmensgruppe oder extern teilen. Bei neuen Produktionsstätten liegt die Zustimmung in Deutschland mit 68 Prozent jedoch 17 Prozentpunkte unter dem weltweiten Durchschnitt. Auch in der Frage der Finanzierung durch neue PaaS-Konzepte sind die deutschen Firmen noch zurückhaltend. Bisher würde jedes fünfte Unternehmen Produktionsanlagen von externen Investoren finanzieren lassen. „Das Streben nach mehr Resilienz und finanzieller Sicherheit dürfte deutsche Unternehmen jedoch dazu motivieren, PaaS-Konzepte in den nächs­ten Jahren mehr in Betracht zu ziehen“, so Kuhlmann.

Als größte Herausforderungen für PaaS nannten weltweit 52 Prozent der Befragten technische Gründe, 45 Prozent fürchten die schwierige Suche nach geeigneten Sharing-Partnern. Für 40 Prozent stellt der Schutz des geistigen Eigentums eine Hürde dar. Für alle Bedenken sieht Kuhlmann jedoch Lösungswege: „Technische Probleme lassen sich zum Beispiel durch die Nutzung von IoT-Anwendungen und digitalen Zwillingen lösen. Passende Sharing-Partner finden sich, wenn die Betreiber der flexiblen Fabriken verbindliche Qualitätsstandards festlegen“, erläutert er. Der Schutz des geistigen Eigentums, der in bestehenden Lieferbeziehungen oder der Auftragsverarbeitung etabliert ist, ließe sich ebenso auf PaaS-Modelle übertragen. „Innovative Industrieunternehmen, die ihre Fertigung, ihre Finanzierung und ihre Geschäftsmodelle neu denken, können mit Production as a Service die aktuell dringendsten Herausforderungen meistern“, resümiert Kuhlmann.

Die Studie finden Sie hier zum Download.

Weiterführende Ergebnisse erhalten Sie in dieser Präsentation.

Über BCG

Die Boston Consulting Group (BCG) unterstützt führende Akteure aus Wirtschaft und Gesellschaft in partnerschaftlicher Zusammenarbeit dabei, Herausforderungen zu meistern und Chancen zu nutzen. Seit der Gründung 1963 leistet BCG Pionierarbeit im Bereich Unternehmensstrategie. Die Boston Consulting Group hilft Kunden, umfassende Transformationen zu gestalten: Die Beratung ermöglicht komplexe Veränderungen, eröffnet Wachstumschancen, schafft Wettbewerbsvorteile, verbessert die Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit und bewirkt so dauerhafte Verbesserungen des Geschäftsergebnisses.

Nachhaltiger Erfolg erfordert die Kombination aus digitalen und menschlichen Fähigkeiten. Die vielfältigen, internationalen Teams von BCG bringen tiefgreifende Expertise in unterschiedlichen Branchen und Funktionen mit, um Veränderungen anzustoßen. BCG verzahnt führende Management-Beratung mit Expertise in Technologie, Digital and Analytics, neuen Geschäftsmodellen und der übergeordneten Sinnfrage für Unternehmen. Sowohl intern als auch bei Kunden setzt BCG auf Gemeinschaft und schafft dadurch Ergebnisse, die Kunden nach vorne bringen. Das Unternehmen mit Büros in mehr als 90 Städten in über 50 Ländern erwirtschaftete weltweit mit 25.000 Mitarbeitern im Jahr 2021 einen Umsatz von 11 Milliarden US-Dollar. Weitere Informationen: http://www.bcg.de

Über FlexFactory by MHP | Munich Re | Porsche

Als Joint Venture von MHP, Munich Re und Porsche bietet die FlexFactory GmbH ein Angebotspaket durch die Bündelung von Expertise in nahtlos digitaler und flexibler Fertigung und Geschäftsmodell-Transformation. FlexFactory dient als Business Enabler für den Aufbau einer flexiblen Fabrik, die externen Investoren gehört und von mehreren Nutzern geteilt wird. Dies bezeichnen wir als Production as a Service (PaaS). PaaS birgt seine eigene Komplexität und Herausforderungen. FlexFactory fungiert dabei als neutraler Orchestrator, der die notwendigen Parteien zusammenbringt und ein für alle Beteiligten wertstiftendes Geschäftsmodell entwickelt. Basierend auf einer hochflexiblen Produktion und einem tragfähigen Geschäftsmodell transformieren wir eine Fabrik in einen investierbaren Vermögenswert. Weitere Informationen: https://flexfactory.tech/

Über WHU – Otto Beisheim School of Management

Der Lehrstuhl für Produktionsmanagement ist ein Lehrstuhl an der WHU – Otto Beisheim School of Management. Zu den Forschungsschwerpunkten gehören Risikomanagement in der Lieferkette und Mixed-Model-Montagelinien mit variablem Takt. Im Jahr 1996 hat der Lehrstuhl gemeinsam mit INSEAD den Industrial Excellence Award ins Leben gerufen. Dieser renommierte Wettbewerb belohnt jährlich Top-down- und Bottom-up-Innovationen in der digitalen Unternehmensstrategie in einer Vielzahl von Branchen. Unterstützt wird er von 15 führenden Business-Schools in 12 europäischen Ländern. Der Lehrstuhl begleitet außerdem gemeinsam mit dem Land Rheinland-Pfalz einen Preis für Corporate Digital Responsibility.

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