Von Volatilität zu Stabilität: Warum Europa jetzt Langfristverträge mit Preisbindung braucht
Europa hat seine Gasversorgung seit 2022 diversifiziert, aber ein erheblicher Teil der Nachfrage ist kurzfristigen Preisen ausgesetzt und nicht durch langfristige Import-Verträge gesichert. Da bestehende Verträge für Flüssigerdgas (LNG) auslaufen und die globalen Energiemärkte weiterhin volatil sind, steht die Stabilität der Gasversorgung in Frage. Gleichzeitig stärken asiatische Importeure ihre Resilienz durch langfristige LNG-Verträge. Wie könnte von diesem Hintergrund ein europäischer Ansatz aussehen, der Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Wettbewerbsfähigkeit vereint?
Europa überstand die Gaskrise von 2022 weitgehend durch Zufall: Die industrielle LNG-Nachfrage in China war ungewöhnlich niedrig (30–40 % unter den Erwartungen). Zudem trugen ein milder Winter in Europa, zusammen mit politischen Maßnahmen zur Gaseinsparung und einer schwachen industriellen Nachfrage aufgrund der hohen Preise dazu bei, die Gasnachfrage weiter zu senken. Allerdings wird sich Europa nicht erneut auf günstige Umstände verlassen können – die Herausforderungen in der Gasversorgung bestehen weiterhin.
Die Diversifizierung der Gasversorgung als effektive erste Gegenmaßnahme hat die Resilienz des europäischen Gasmarktes gestärkt. Hauptsächlich wurde ein großer Teil der russischen Importe durch LNG aus den USA und Katar ersetzt. Dennoch leidet Europa nach wie vor unter vergleichsweise hohen Gaspreisen – und zukünftige Gaspreisschockszenarien von 60 €/MWh oder mehr sind nicht undenkbar. Die jüngste Drohung des Iran zur Sperrung der Straße von Hormus, die glücklicherweise nie umgesetzt wurde, hätte zu Preisanstiegen auf 70-100 €/MWh führen können. In Zeiten vielfältiger globaler Spannungen ist dies ein ernstzunemendes Risiko. Hohe und volatile Gaspreise stellen ein großes Hindernis für die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie dar und energieintensive Industrieunternehmen fallen bereits hinter ihre chinesischen oder amerikanischen Konkurrenten zurück, die Zugang zu günstigerer Energie haben. In Deutschland ist beispielsweise ein Fünftel der industriellen Wertschöpfung gefährdet, was vor allem auf hohe Energiekosten zurückzuführen ist. Ein Gaspreis von 60 €/MWh würde zu erheblichen Margenrückgängen oder sogar Verlusten für viele Branchen der deutschen Industrie führen, an denen etwa 3 Millionen Arbeitsplätzen hängen.
Zudem ist heute noch immer mehr als ein Viertel des Gasbedarfs in Europa nicht durch langfristige Verträge gesichert und ein signifikanter Teil der bestehenden Importverträge (~20 % des Jahresbedarfs) läuft bis 2030 aus. Im Gegensatz dazu haben asiatische LNG-Importeure im Durchschnitt mehr als 90 % ihres Gasbedarfs durch Verträge gesichert (Stand 2024) – das sind 20 Prozentpunkte mehr als in Europa. Darüber hinaus sind substanzielle Teile der bestehenden langfristigen Verträge in Europa an kurzfristige Gaspreise indexiert, was die Volatilität erhöht, anstatt Resilienz gegenüber sich schnell ändernden Gaspreisen zu schaffen. Länder, die mehr Wert auf langfristige Gasverträge legen, profitieren auch von einer insgesamt höheren Bezahlbarkeit und einer sicheren physischen Gasversorgung.
Ein Henne-Ei-Problem zwischen Gasimporteuren und industriellen Abnehmern hindert derzeit die Lösung dieser Herausforderungen und damit eine stärkere Preisstabilität in Europa: Importeure können sich nicht zu langfristigen Lieferverträgen mit Preisbindung verpflichten, da sie ohne entsprechende längerfristige Abnahme der Industriekunden ein hohes Risiko tragen würden. Industrielle Abnehmer andererseits verfügen oft nicht über eine ausreichende Bonität, um solche Vereinbarungen abzuschließen, oder vermeiden bewusst langfristige Verpflichtungen, um ihre Flexibilität zu bewahren und sich gegen Lieferausfälle sowie regulatorische Risiken abzusichern.
Da Erdgas im Übergang weiterhin essenziell bleibt, um erneuerbare Energien und schwer elektrifizierbare Prozesse auf dem Weg zur Klimaneutralität abzusichern, untersucht unsere Studie, wie Europa diese Problematik durch die Einführung eines neuen Paradigmas für die Gasbeschaffung angehen kann. Unsere Studie zeigt, wie langfristige LNG-Lieferverträge mit stabilen Preisen von 25-30 €/MWh zu einer sicheren und erschwinglichen Energieversorgung beitragen, die industrielle Zukunft Europas schützen und die Energiewende unterstützen können. Da die meisten neuen Verflüssigungskapazitäten innerhalb der nächsten drei Jahre verfügbar werden, fordert diese Studie Importeure, Abnehmer und politische Entscheidungsträger auf, die Gelegenheit zu nutzen und langfristige LNG-Mengen für Europa zu sichern.