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Düsseldorf—Kaum eine Entwicklung steht so sinnbildlich für Überfluss und Verschwendung wie der Aufstieg von (Ultra) Fast Fashion: Weltweit wird Mode immer schneller produziert, immer günstiger verkauft – und immer früher weggeworfen. Die Folge: Rund 120 Millionen Tonnen Kleidung landen jedes Jahr im Müll. Ein Kleiderberg, mit dem sich über 200 Fußballstadien füllen ließen, ein Großteil davon kaum getragen. Das ist jedoch nicht nur ein gewaltiges Umweltproblem, sondern auch eine verpasste Chance für die Bekleidungsindustrie, wie eine neue Analyse der Strategieberatung Boston Consulting Group (BCG) zeigt: Der weltweite Materialwert dieser Abfälle liegt bei geschätzten 150 Milliarden US-Dollar jährlich.

Das Recycling von Textilien scheitert häufig am System

Mehr als 90 Prozent der CO₂-Emissionen der Modebranche entfallen auf die Rohstoffgewinnung und -verarbeitung. Doch: „Was heute als Abfall endet, könnte morgen die Ressource für neue Produkte sein“, sagt Catharina Martinez Pardo, Partnerin und Expertin für Nachhaltigkeit in der Modebranche bei BCG. „Noch immer wird ein Großteil unserer Kleidung nach wenigen Nutzungen einfach entsorgt – obwohl in ihr enorme Werte stecken.“ Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen betont sie: „Der Aufbau einer effizienten Kreislaufwirtschaft in der Textilbranche ist keine Zukunftsvision, sondern ein Gebot der ökologischen und ökonomischen Vernunft.“

Davon scheint die Branche allerdings teilweise noch weit entfernt: Derzeit wird nur etwa ein Prozent der ausrangierten Textilien zu neuen Fasern recycelt, denn aktuelle Sammel-, Sortier- und Recyclingsysteme sind den wachsenden Abfallmengen nicht gewachsen. Die Sortierung erfolgt vielerorts noch manuell und viele Kleidungsstücke bestehen aus Mischgeweben, die sich mit heutigen Verfahren kaum trennen und wiederverwerten lassen. Der Großteil der entsorgten Textilien wird deshalb verbrannt, deponiert oder ins Ausland exportiert – oft in Länder, deren Entsorgungssysteme längst überlastet sind. Auch ökologisch ist das ein großes Problem, laut Berechnungen von BCG vergleichbar mit mehreren Transatlantikflügen pro Tonne.

Fast Fashion am Kipppunkt: Die Modebranche muss umdenken

„Das Thema Recycling ist längst nicht nur etwas für Nischenmarken mit Nachhaltigkeitsfokus, sondern ein industrieller Wachstumsmarkt“, betont Martinez Pardo. Das Bewusstsein, dass es in der Branche so wie bisher nicht weitergehen kann, wächst – und der Druck auf die Hersteller steigt auch von politischer Seite: Immer mehr Länder führen sogenannte „Extended-Producer-Responsibility“-Regelungen (EPR) ein, die Hersteller verpflichten, Verantwortung für ihre Produkte über den Verkauf hinaus zu übernehmen. Die Niederlande etwa fordern ab 2030 eine Wiederverwertungsquote von 75 Prozent für verkaufte Textilien.
„Damit das Recycling in der Modebranche zunimmt, müssen wir die gesamte Wertschöpfungskette neu denken, von der Gestaltung der Produkte bis zur Rücknahme und Wiederverwertung“, so Alexander Meyer zum Felde, Partner und Experte für Kreislaufwirtschaft bei BCG. Einzelinitiativen reichten nicht aus, es brauche branchenweite Lösungen. Dafür müssten recycelte Materialien leichter verfügbar und attraktiver für Hersteller wie Konsumenten werden. „Gleichzeitig braucht es einfache Rücknahmesysteme und moderne Sortiertechnologien. Besonders wichtig sind gezielte Investitionen in Verfahren wie KI-gestützte Sortierung und chemisches Recycling, um auch Mischgewebe effizient verarbeiten zu können.“

Kreislaufwirtschaft als Milliardenchance für die Textilindustrie

Der Umbau ist ambitioniert – aber machbar. Laut BCG könnten mit den richtigen Weichenstellungen bis 2030 die Abfallrecyclingraten 30 Prozent übersteigen, wodurch neue Fasern mit einem Rohstoffwert von über 50 Milliarden US-Dollar erzeugt und rund 180.000 neue Arbeitsplätze geschaffen würden. Dazu braucht es ein Zusammenspiel aus Industrie, Start-ups, Politik und Investoren. Und auch die Verbraucher spielen eine Schlüsselrolle, denn die Kreislaufwirtschaft beginnt mit der Rückgabe getragener Kleidung. Meyer zum Felde fordert deshalb niedrigschwellige Rückgabemöglichkeiten, mehr Aufklärung sowie finanzielle Anreize und ist überzeugt: „Nur so wird aus gelegentlichem Recycling ein neues Konsummuster.“
Alle Voraussetzungen sind gegeben: Wenn die Branche jetzt in die richtige Richtung investiert – in bessere Sammel- und Sortiersysteme, moderne Recyclingtechnologien und vor allem in Zusammenarbeit entlang der Wertschöpfungskette – lässt sich nicht nur ein bislang ungenutztes Milliardenpotenzial heben. Eine funktionierende textile Kreislaufwirtschaft kann zugleich zum Treiber für nachhaltiges Wachstum, industrielle Innovationskraft und langfristige Wettbewerbsfähigkeit werden. Die Chance liegt auf dem Tisch – jetzt gilt es, sie zu ergreifen.

Pressekontakt:

Boston Consulting Group
Felix Kupferer
Media Relations
Tel: +49 151 67014360

Über die Analyse

Der Report „Spinning Textile Waste into Value“ der Boston Consulting Group basiert auf einer Kombination aus datenbasierter Modellierung, technologischer Analyse und qualitativen Experteninterviews. Grundlage der quantitativen Einschätzungen ist eine umfassende Marktmodellierung entlang der textilen Wertschöpfungskette – von Produktion und Konsum bis hin zu Entsorgung und Recycling. Dabei wurden öffentlich verfügbare Datenquellen (u. a. von Eurostat, WTO, Ellen MacArthur Foundation) mit aktuellen Marktpreisen und Materialflüssen verknüpft. Ergänzend wurden mehr als 30 Interviews mit Vertreter:innen aus Industrie, Handel, Recyclingwirtschaft, Start-ups, Investoren und Regulierungsbehörden geführt, um ein realistisches Bild der Herausforderungen und Potenziale zu zeichnen. Ziel war es, ökologische und ökonomische Aspekte gleichermaßen zu erfassen und konkrete Handlungsoptionen für Industrie, Politik und Investoren abzuleiten.

Über BCG

Die Boston Consulting Group (BCG) ist eine weltweit führende Unternehmensberatung. Gemeinsam mit Führungskräften aus Wirtschaft und Gesellschaft treiben wir tiefgreifende Transformationen voran. Seit der Gründung 1963 leistet BCG Pionierarbeit im Bereich Unternehmensstrategie. Unser Ziel: Organisationen so stärken, dass sie wachsen, nachhaltige Wettbewerbsvorteile entwickeln und positiven gesellschaftlichen Wandel gestalten können. BCG steht für erstklassige Strategieberatung mit Technologiekompetenz sowie unternehmerischer Umsetzungskraft – von digitalen Geschäftsmodellen bis zu Corporate Ventures. Unsere internationalen Teams vereinen Branchenwissen, funktionale Expertise und vielfältige Perspektiven – sie hinterfragen den Status quo und setzen Impulse für echte Veränderung. Unser Beratungsmodell ist einzigartig: Es setzt auf enge Zusammenarbeit innerhalb unserer Teams und bei unseren Kunden – über alle Organisationsebenen hinweg. BCG ist mit rund 33.000 Mitarbeitenden in über 100 Städten und mehr als 50 Ländern vertreten. Weltweit erzielte BCG im Jahr 2024 einen Umsatz von 13,5 Milliarden US-Dollar.  
 
Weitere Informationen: www.bcg.de