- Bis zu 70 Mrd. € Marktvolumen und 190.000 neue Jobs: CDR kann eine industrielle Schlüsselrolle für Deutschland spielen
- Internationale Vorreiter sind längst aktiv – Deutschland droht, den Anschluss zu verlieren
- Studie von BCG und DVNE empfiehlt: eine gezielte CDR-Strategie, ein CCS-Gesetz, Förderprogramme und eine Aufnahme von CDR in den EU-Emissionshandel
München/Berlin—Ohne gezielte Förderung und Investitionsanreize wird sich eine aktive Entnahme von CO₂ aus der Atmosphäre (Carbon Dioxide Removal, CDR) hierzulande nicht im erforderlichen Umfang entwickeln lassen. Das ist das Ergebnis einer jetzt veröffentlichten Studie der Boston Consulting Group (BCG) und des Deutschen Verbands für negative Emissionen (DVNE).
Neben ihrer klimapolitischen Bedeutung eröffnet CDR auch das Potenzial für den Aufbau einer leistungsfähigen Zukunftsbranche – mit Milliardeninvestitionen, technologischer Innovation und internationaler Wettbewerbsfähigkeit. Doch trotz dieses Potenzials fehlt es in Deutschland bislang an einem kohärenten politischen Rahmen, während andere Staaten wie die USA und Großbritannien oder auch die skandinavischen Länder den Hochlauf von CDR längst gezielt fördern.
Als konkrete Maßnahmen identifiziert die Analyse unter anderem die Integration von CDR in den EU-Emissionshandel, Investitionszuschüsse, direkte Beschaffung durch den Staat sowie staatlich garantierte Abnahmepreise. Das geplante Kohlendioxid-Speicherungsgesetz der Bundesregierung kann eine erste Grundlage schaffen: Es ebnet den Weg für die industrielle CO₂-Abscheidung und -Speicherung (CCS) und stellt eine Infrastruktur bereit, von der langfristig auch biogene und direkte CO₂-Entnahme profitieren können.
CDR ist unverzichtbar für Klimaneutralität
CO₂-Reduzierung allein wird nicht genügen, um Deutschland bis 2045 klimaneutral zu machen. Denn: In Industrien wie der Zement- oder Stahlherstellung, in der Luftfahrt oder Landwirtschaft lassen sich Restemissionen nicht vollständig vermeiden. Genau hier setzt CDR an – mit Verfahren, die CO₂ aktiv aus der Atmosphäre entziehen und dauerhaft binden. Schätzungen zu Folge muss Deutschland seine Kapazität zur CO₂-Entnahme von heute nahezu null auf 50 bis 230 Millionen Tonnen jährlich steigern – um das Netto-Null-Ziel bis 2045 zu erreichen. Entscheidend: Der Ausbau muss noch in diesem Jahrzehnt beginnen.
Industriestandort stärken – Marktpotenziale heben
Doch CDR ist mehr als Klimaschutz – es ist ein industriepolitisches Wachstumsfeld mit globaler Hebelwirkung. Laut Studie könnte der weltweite CDR-Markt in einem 1,5°C-kompatiblen Szenario bis 2050 ein jährliches Volumen von 470 bis 940 Milliarden Euro erreichen. Deutschland ist mit seiner starken industriellen Basis hervorragend positioniert, um dieses Wertschöpfungspotenzial zu erschließen – mit einem nationalen ökonomischen Potenzial von bis zu 70 Milliarden Euro und 190.000 qualifizierten Arbeitsplätzen. Die wirtschaftliche Perspektive reicht weit über CO₂-Speicherung hinaus: Wertschöpfung entsteht dort, wo Technologien zur CO₂-Entnahme entwickelt, gebaut und betrieben werden – in Ingenieurwesen, Forschung, Anlagenbetrieb und digitalen Monitoringlösungen.
„Wir müssen CDR als industrielle Chance mit internationalem Hebel begreifen – nicht als Klimakosten“, sagt Dr. Johanna Pütz, Partnerin und Klimaexpertin bei BCG. „Jetzt ist der Moment, in dem sich entscheidet, ob Deutschland zum bloßen Speicherort wird – oder zum globalen Lösungsanbieter einer neuen industriellen Schlüsseltechnologie.“
„Obwohl es vielversprechende Signale gibt, fehlen noch immer die Voraussetzungen für groß angelegte Investitionen in CO₂-Entnahme und dauerhaftes Marktvertrauen. Die Studie setzt genau da an und zeigt konkret auf, wie Deutschland einen leistungsstarken CDR-Markt gestalten kann“, betont Stefan Schlosser, Geschäftsführer des Deutschen Verbands für negative Emissionen.
Deutschland droht, den Anschluss zu verlieren
Internationale Vorreiter wie die USA, Großbritannien, Dänemark oder Kanada investieren längst gezielt in CO₂-Entnahme – mit klaren CDR-Zielen, rechtlich abgesicherter CO₂-Speicherung und umfangreichen Förderprogrammen für technologische und naturbasierte Verfahren. Deutschland hingegen steht noch am Anfang – und weist laut Studie erhebliche Lücken in allen zentralen Handlungsfeldern auf.
Es fehlt bislang an einer nationalen Strategie mit messbaren Zielen für technologische CDR-Verfahren. Auch der regulatorische Rahmen ist unvollständig: Wichtige Rechtsgrundlagen zur CO₂-Speicherung wurden noch nicht verabschiedet. Damit sind Schlüsseltechnologien wie DACCS oder BECCS faktisch blockiert. Zudem mangelt es an gezielten Finanzinstrumenten. Während andere Länder auf staatliche Abnahmegarantien, Steuergutschriften oder Zuschüsse setzen, existiert in Deutschland bislang kein wirkungsvolles Fördermodell für technische CO₂-Entnahme und Speicherung.
Die Autoren warnen: Ohne Zielvorgaben, regulatorische Öffnung und Investitionssicherheit kann Deutschland den notwendigen CDR-Hochlauf nicht stemmen. Und deshalb auch nicht die Klimaziele erreichen. „Andere Länder zeigen, wie entschlossenes Handeln CDR-Märkte in Gang setzt – Deutschland muss jetzt handeln, um den Anschluss nicht zu verlieren“, sagt Stefan Schlosser, Managing Director bei DVNE.
Finanzierung ist der Schlüssel zum Hochlauf
Deutschland steht vor einem Investitionsbedarf von rund 6 Milliarden Euro bis 2030 und 90 Milliarden Euro bis 2045, um die im Klimapfad notwendigen CO₂-Entnahmekapazitäten zu erreichen. Doch der Markt kommt aus eigener Kraft nicht in Gang. Die Studie benennt vier strukturelle Wachstumsbarrieren: Es fehlt an verlässlicher Nachfrage, die Kosten sind hoch, das Investitionsrisiko erheblich – und langwierige Genehmigungsverfahren bremsen den Ausbau. Noch stützt sich CDR in Deutschland nahezu ausschließlich auf einzelne, freiwillige Käufer mit hoher Zahlungsbereitschaft – zu wenig für einen industriellen Maßstab.
Was jetzt zu tun ist: Strategie, Förderung, europäische Anbindung
Um den Hochlauf zu ermöglichen, braucht es jetzt klare politische Entscheidungen. Die Bundesregierung sollte die „Langfriststrategie Negativemissionen“, die im Spätsommer im Kabinett verabschiedet werden soll, mit konkreten Mengen- und Methoden-Zielen vorlegen – als Orientierung für Industrie, Investoren und öffentliche Hand. Auf finanzieller Ebene empfiehlt die Studie ein dreistufiges Modell: staatliche CDR-Beschaffung, Investitionszuschüsse und garantierte Abnahmepreise (Carbon Contracts for Difference). Damit werden Investitionsrisiken verringert, Skalierung ermöglicht und privates Kapital angezogen.
Ein besonderer Hebel liegt zudem auf europäischer Ebene: Die Integration von CDR in den EU-Emissionshandel (ETS) könnte einen robusten, langfristigen Markt schaffen. Die gezielte Öffnung für hochwertige, zertifizierte CO₂-Entnahme würde CDR wirtschaftlich attraktiv machen – durch handelbare Gutschriften mit realem Preisanker. Selbst ein niedriger Anteil von CDR im ETS könnte laut Studie bis 2040 zwischen 50 und 75 Millionen Tonnen Entnahmen pro Jahr ermöglichen – und dabei zur Preisstabilisierung im Markt beitragen. Deutschland sollte die Weiterentwicklung aktiv mitgestalten und seine Industrie frühzeitig auf die erwarteten Qualitätsstandards vorbereiten. „Wir haben ein industrielles Momentum, aber es wird nur zum Durchbruch, wenn Politik jetzt in Finanzierungssicherheit investiert. Ohne staatliche Risikoteilung bleiben viele CDR-Projekte wirtschaftlich nicht realisierbar“, analysiert BCG-Partnerin Pütz.
Pressekontakt:
BCG
Julia Schmid
Media Relations
Über die Studie
Die vorliegende Analyse wurde im Juli 2025 von der Boston Consulting Group (BCG) in Kooperation mit dem Deutschen Verband für negative Emissionen (DVNE) veröffentlicht. Sie untersucht, wie Deutschland den Hochlauf von Carbon Dioxide Removal (CDR) erfolgreich gestalten kann – unter industriepolitischen, regulatorischen und ökonomischen Gesichtspunkten. Die Studie analysiert internationale Fördermodelle, identifiziert zentrale Wachstumsbarrieren und leitet konkrete Handlungsempfehlungen für Politik und Wirtschaft ab. Die vollständige Studie finden Sie hier: https://negative-emissions.bcg.com/home/
Über den Deutschen Verband für negative Emissionen
Der Deutsche Verband für negative Emissionen (DVNE e.V.) bringt führende Unternehmen der CO2-Entnahme-Branche zusammen. Vereint wollen sie den Wandel hin zu einer nachhaltigen Zukunft anführen, um Deutschlands Netto-Null-Ziel bis 2045 zu erreichen und darüber hinaus netto-negativ zu werden.
Der DVNE wurde im Juli 2023 als erster nationaler CDR-Verband in der EU gegründet und verfolgt das Ziel, dem schnell wachsenden Ökosystem in Deutschland eine starke und differenzierte Stimme zu geben und die Öffentlichkeit über negative Emissionen bzw. CO2-Entnahme (englisch: CDR) zu informieren.
Weitere Informationen: https://dvne.org
Über BCG
Die Boston Consulting Group (BCG) ist eine weltweit führende Unternehmensberatung. Gemeinsam mit Führungskräften aus Wirtschaft und Gesellschaft treiben wir tiefgreifende Transformationen voran. Seit der Gründung 1963 leistet BCG Pionierarbeit im Bereich Unternehmensstrategie. Unser Ziel: Organisationen so stärken, dass sie wachsen, nachhaltige Wettbewerbsvorteile entwickeln und positiven gesellschaftlichen Wandel gestalten können. BCG steht für erstklassige Strategieberatung mit Technologiekompetenz sowie unternehmerischer Umsetzungskraft – von digitalen Geschäftsmodellen bis zu Corporate Ventures. Unsere internationalen Teams vereinen Branchenwissen, funktionale Expertise und vielfältige Perspektiven – sie hinterfragen den Status quo und setzen Impulse für echte Veränderung. Unser Beratungsmodell ist einzigartig: Es setzt auf enge Zusammenarbeit innerhalb unserer Teams und bei unseren Kunden – über alle Organisationsebenen hinweg. BCG ist mit rund 33.000 Mitarbeitenden in über 100 Städten und mehr als 50 Ländern vertreten. Weltweit erzielte BCG im Jahr 2024 einen Umsatz von 13,5 Milliarden US-Dollar.
Weitere Informationen: www.bcg.com